Zinsen: "Gib mir die Welt plus 5%!"
Ich beschäftige mich ja schon länger mit Geld- und Wirtschaftsystemen, mit Schulden und Zinsen etc. - die aktuelle Schuldenkrise lässt dieses Thema brandaktuell werden. Und weil ich grad ein wenig Zeit hatte, habe ich dem Thema Zins hinterher recherchiert...
Ein paar Fundstücke zum Thema Zins
Wenn dein Bruder verarmt und neben dir abnimmt, so sollst du ihn aufnehmen als einen Fremdling oder Gast, daß er lebe neben dir, und sollst nicht Zinsen von ihm nehmen noch Wucher, sondern sollst dich vor deinem Gott fürchten, auf daß dein Bruder neben dir leben könne.
Bibel, 3.Mose25,34-35
Wer auf Zinsen gibt und einen Aufschlag nimmt, sollte der am Leben bleiben? Er soll nicht leben, sondern, weil er alle diese Greuel getan hat, soll er des Todes sterben; seine Blutschuld komme über ihn.
Bibel, Hesekiel 18,13
Das Geld ist für den Tausch entstanden, der Zins aber weist ihm die Bestimmung an, sich durch sich selbst zu vermehren. Daher widerstreitet auch diese Erwerbsweise unter allen am weitesten dem Naturrecht.
Aristoteles (*384 v.Chr., †322 v.Chr.), griech. Philosoph
Wer Geld gegen Zins verleiht, soll dastehen wie einer, der vom Satan erfasst ist.
Koran, 2. Sure
Wer Zins nimmt, wird mit dem Königsbann belegt, wer wiederholt Zins nimmt, wird aus der Kirche ausgestoßen und soll vom Grafen gefangengesetzt werden.
Kaiser Lothar (*795, †855) im Jahr 825
Jede Gesetzgebung, die den Zins erlaubt, ist null und nichtig.
Papst Alexander III. (*1105, †1181)
Wer Zins nimmt, lebt auf Kosten der Arbeit anderer, ohne ihnen für diese Arbeit irgendeine Gegenleistung zu geben. Durch den Zins wird der Gleichwertgrundsatz in schwerster Weise verletzt. Christentum und Zins sind unvereinbar.
Johannes Ude (*1874, †1965), Dekan der kath.-theol. Fakultät Graz
Wo nicht der Mensch, sondern das zinstragende Kapital der Gegenstand ist, dessen Erhaltung und Mehrung der Sinn und das Ziel der politischen Ordnung ist, da ist der Automatismus schon im Gang, der eines Tages die Menschen zum Töten und Getötetwerden auf die Jagd schicken wird.
Karl Barth (*1886, †1968), dt. evang. Theologe
Jetzt endlich habe ich erkannt, dass nicht das Wirtschaftswachstum den Zinseswahnsinn erzeugt, sondern dass der Zins die einzige wahre und wirkliche Ursache dafür ist, dass die Welt dem Wahnsinn des ewigen Wachstums verfallen ist.
Konrad Lorenz (*1903, †1989), österr. Verhaltensforscher, Medizin-Nobelpreis 1973
...ein Krieg gegen die gesamte Dritte Welt, ein Krieg um die Auslandsschulden. Seine schärfste Waffe ist der Zinssatz, und die ist tödlicher als die Atombombe.
Luis Ignácio Lula da Silva (*1945), bras. Präsident
In dem kapitalistischen System steckt ein Rechenfehler. Die Kapitalisten können nicht rechnen. Das ist die ganze Wahrheit. Wenn sie rechnen könnten, würden sie wissen, dass keine Wirtschaft andauernd Zins und Zinseszins zahlen kann.
Paul C. Martin (*1939), Autor und Wirtschaftsjournalist, in "Wann kommt der Staatsbankrott" (1982)
Was ist denn eigentlich schlecht am Zins?
Zins ist ein System, das nicht funktionieren kann.
Man kann es rein mathematisch nehmen: Zins und Zinseszins lassen die Geldmenge exponentiell wachsen. Geldsysteme sind aber geschlossene Systeme (der Bereich, in dem das Geld Gültigkeit hat). Exponentielles Wachstum in einem geschlossenen System führt zum Kollaps.
Oder etwas praktischer betrachtet: Auf einer kleinen Insel leben 10 Menschen. Einer von ihnen "erfindet" eine Bank und gibt an jeden Einwohner 1000 Taler als Kredit aus. Am Ende eines Jahres will er das Geld mit 5% Zinsen zurück. Jeder Kreditnehmer muss also 1050 Taler zurückzahlen - mal 9 Kreditnehmer = 9450 Taler. Es wurden aber nur 9000 Taler ausgegeben. Woher jetzt die fehlenden 450 Taler nehmen?
Und hier noch mal etwas genauer zum Nachlesen bei Egon W. Kreutzer: http://egon-w-kreutzer.de/Autor/11122%20LP%20WWWIIGeld.html und http://egon-w-kreutzer.de/Geld/Grundlagen1.html
Wunderbar anschaulich erklären zwei Trickfilme unser Geldsystem, das auf Schulden und Zinsen aufgebaut ist:
- Wie funktioniert Geld? von Max von Block (ca. 15min.)
- Fabian, der Goldschmied (ca. 50min.)
Zum Nachdenken:
Wenn deine Nachbarin und kommt und leiht sich von dir die klassische Tasse Mehl, was erwartest du dann zurück? Wenn dein Freund sich dein Auto leiht, was erwartest du? Einen wieder gefüllten Tank, ja - aber ein zweites Auto?
Wir reden hier nicht über Beteiligungen an Unternehmungen, bei dem beide Partner Geld und/oder Werte einbringen und beide das Risiko tragen. Es geht hier um Kredite, die Lebensnotwendiges finanzieren sollen. Dazu gehören auch Wohnraum und Werkzeuge...
Das Zinsverbot
Judentum, Christentum und der Islam kennen ein Zinsverbot. Schon Perser und Griechen hatten ein Zinsverbot.
Das Zinsverbot wird mehrmals im Alten Testament genannt, auch Jesus thematisiert den Zins öfters (Und fragt mich jetzt nicht, wie das Gleichnis von Schalksknecht da rein passt - das war mir schon immer schleierhaft. Haben wir da vielleicht was im Kontext übersehen???). Des weiteren gibt es im Judentum noch das Sabbatjahr (allgemeiner Schuldenerlass in jedem siebten Jahr) und das Erlassjahr (aller Grundbesitz geht wieder zurück an den ursprünglichen Besitzer, alle 50 Jahre).
Was ist mit diesen Geboten passiert?
Ich weiß nicht, wie oft tatsächlich Sabbat- oder Erlassjahre gehalten wurden. Auf jeden Fall war bis ca. 1500 das Zinsen nehmen geächtet. Luther lieferte sich mit Dr. Eck eine hitzige Debatte um den Zins. Dr. Eck argumentiert für den Zins mit dem Konstrukt des Constractus trinus:
"Man leiht das Geld nicht, man kauft einen Anteil an einem Unternehmen – etwa einem Häuslesbau: Der erste Vertrag.
Dann schließt man einen weiteren Vertrag ab, eine Versicherung, die einem garantiert, daß das Unternehmen – unser Häuslesbau – für einen selbst einen sicheren Ertrag von, sagen wir einmal, 5% abwirft: Der zweite Vertrag.
Und dann schließt man noch einen dritten Vertrag ab, in dem man auf einen möglichen höheren Gewinn – aus dem Häuslesbau – verzichtet zugunsten des ausgemachten sicheren Gewinns.
Drei erlaubte Sachen (Vertragsmodi):
- Beteiligung an einem Unternehmen
- eine Versicherung
- ein Verzicht (auf einen möglichen höheren Gewinn)
werden kombiniert: Der Contractus trinus.
Zwei Sachen werden dabei vergessen:
Erstens wird vergessen, daß ein Häuschen keinen Gewinn abwirft – also überhaupt kein Unternehmen ist – und das dargereichte Geld ist keine (immer schon erlaubte) Einlage in ein Geschäfts-Unternehmen.
Zweitens wird vergessen, daß das Risiko des Unternehmens, ob es nämlich überhaupt Gewinn abwirft oder nicht, oder viel oder wenig, allein bei einem Vertragspartner liegt. – Es wird also auch insofern nicht in ein Geschäftsunternehmen eingetreten, als die (immer schon erlaubte) Beteiligung an einem Geschäftsunternehmen die Beteiligung am Risiko wesentlich mit einschließt." (Helmut Waldmann)
In der kaufmännischen Praxis gab es schon längst Kreditgeschäfte, und so stürzen sich die Befürworter des Zinses auf diese Argumentation: ab 1525 wird die Verzinsung von Darlehen auch in einzelnen deutschen Ländern und Städten per Gesetz erlaubt, 1543 erlaubt Kaiser Karl V. erstmals niederländischen Kaufleuten, Geld gegen Zinsen zu verleihen. Der Damm ist gebrochen.
Und heute?
Heute wird man für verrückt erklärt, wenn man sich für ein Geldsystem ohne Zins ausspricht. "Zins muss sein, ohne funktioniert es nicht", und es gibt etliche, logisch sehr schräge Erklärungen, warum Zins sein muss.
Sogar die Tatsache, das das Hebräische und das Griechische nur ein Wort für "Zins" und "Wucher" haben, muss für die Begründung herhalten, dass Wucher natürlich schlecht und verboten sei, Zins jedoch nicht.
Denkanstöße dazu
- Mit dem Zins verliert die Arbeit eines Menschen an Wert, denn er kann nie die Zinsen und Zinseszinses mit dem Ertrag seiner Arbeit bedienen.
- Der Zins macht immer einen im System zum Verlierer und einen zum Gewinner, Geld wird von arm nach reich geschaufelt.
- Zinsen bedrohen die Freiheit des Staates: irgendwann ist so viel Geld in der Hand von einzelnen, das diese den Staat knechten können. Das sah schon Platon so.